...im Schatten eines Spitzentitels.
Wie gesagt: es gibt Patenkuh Polly. Und das Buch ist in
einer wirklich wunderbaren Ausgabe bei Randomhouse erschienen. Klasse
illustriert. Toll gedruckt, wunderbar gestaltet, schönes Papier. Ich mag so
was. Zum Beispiel, wenn der Umschlag nicht glänzend ist sondern Matt, das ist
edel. Und wie das so ist bei einem neuen Buch, geht mal wieder die
Autorenphantasie mit mir durch und ich stelle mir vor, wie Johann auf dem
Rücken von Polly die Welt erobern wird. Dieser Eroberungszug fängt natürlich in
der nächstgelegenen Buchhandlung an. Die
Augustneuerscheinungen der Verlage sind frontal in die Regale eingebettet. Alle
Bücher stehen da - bis auf meines.
Ich bin immerhin ein Autor der Region, aber das interessiert
nicht.
Wie eine Zauberformel höre ich nur das Wort `Spitzentitel´. Kaum in mein Ohr gedrungen geht von diesem Wort Magie aus. Die Magie des Besonderen,
Außergewöhnlichen.
Einer der Spitzentitel, die in diesen Tagen in den Buchhandlungen frontal
vertreten sind und in dessen Schatten sich mein Buch nun wohl fühlen muss,
heißt `Miles und Niles´ und ist am gleichen Tag erschienen wie Patenkuh Polly,
am 24. August. Es ist ein Buch über Lausbubenstreiche.
Amazon ist nicht nur ein Portal, das hin und wieder in
schlechtem Licht steht, es ist auch ein Ort der Orientierung. ` Kunden die
dieses Buch gekauft haben, interessieren sich auch für.....´. Diesen Satz oder
einen ähnlichen liest man hier öfter. Jeder Mensch besitzt ein Kundenprofil.
Für uns Autoren ist Amazon auch ein Ort des Klickens.
Autoren tauschen sich über dortige Kuriositäten und Entdeckungen aus, immer in
Bezug auf Rezensionen oder Verkaufsrang. Manche rezensieren sich gegenseitig. Verkaufsrang
und Rezensionen werden als Gradmesser gehandelt, obwohl es nicht immer
zutreffend ist. Aber wo mit Zahlen hantiert wird, glaubt der Mensch an die
Wahrheit. Zahlen haben Macht. Die
ersten Rezensionen von `Miles und Niles´, dem Buch das zeitgleich mit meinem am
24. 8. erschienen ist, sind mit dem 27.7. datiert. Und insgesamt sind am
Erscheinungstag schon 27 Rezensionen zu zählen. Das ist nicht wenig. Howie 1006 ist beispielsweise darunter,
er rezensiert sonst Tagespflegecremes oder Stereoanlagen oder
Displayschutzfolien. Einen Rock hat Howie 1006 auch schon rezensiert. Bücher
kaum. Frank ist unter den Rezensenten, er rezensiert sonst Fernbedienungen oder
Unterhosen von Hugo Boss. Verena rezensiert sonst Klebestreifen oder
elektrische Fusselentferner. Ich
frage mich, weshalb lesen alle diese Menschen vor dem
Erscheinungstermin ein Kinderbuch, eines bis dato auf dem deutschen Markt unbekannten
Autorenduos? Und warum rezensieren sie nicht auch sonst Bücher? Erfolgsbücher, nicht allzu schwere Kost, beispielsweise Suter oder Mankell. Ist das die Magie eines zum Spitzentitel auserchorenen Buches? Ist
der von Verena besprochene Fusselentferner auch ein Spitzentitel? Oder
Spitzenartikel? Oder entfernt er nur Fussel von Spitzentischtüchern oder
Spitzenvorhängen? Wie funktioniert der Markt? Wie funktioniert der literarische
Betrieb? Wie funktionieren Rezensenten?
Hatte Reich-Ranicki auch Röcke und Fusselentferner renzensiert
und niemand wusste es?
Ich beschließe, die mir die bis dahin verborgenen marktwirtschaftlichen
Gesetze zu erforschen, ihnen auf den Grund zu gehen und finde mich bald mit einem Schwung meiner Pollybücher in
der Textilabteilung eines Kaufhauses wieder. Ich positioniere mich zwischen Röcken
und Unterwäsche. In der ersten Stunde schauen sich 4 Kunden Unterhosen von Hugo Boss an und 6
Röcke. Ob Howie 1006 darunter ist, weiß ich nicht? Ich vermute, er ist unter
einem Pseudonym bei Amazon angemeldet. Von einem Nachnamen `1006´ hatte ich
noch nie gehört.
Plötzlich sehe ich eine Frau mit einem Rock in eine
Umkleidekabine gehen, hat sie auch Hugo Boss-Unterhosen dabei? Ich kann es schlecht erkennen. Ich schleiche mich an die Kabine und fühle mich siegessicher. Und schiebe vorsichtig mein Buch unter
dem Vorhang durch und flüstere mit manipulativer, verschwörerischer Stimme:
„Das könnte Ihnen auch gefallen. Ich bitte um eine Rezension bei Amazon.“ Da
höre ich den Schrei einer Erschrockenen aus der Kabine dringen. Gleich zwei
Verkäuferinnen eilen auf mich zu. Ist das die Magie?, frage ich mich, diese Anziehungskraft, die von
einem Spitzentitel ausgeht?
Wenige Augenblicke später fragt mich der Kaufhausdetektiv
nach dem Kaufbeleg für die Bücher. Ich erkläre ihm, dass ich die Bücher dabei
hatte, als ich ins Kaufhaus kam.
„Wieso schleppen Sie brandneue Artikel in ein Kaufhaus?“,
will der Detektiv wissen. „Wieso sind Sie kein normaler Dieb, der was entwendet?“
„Ich bin kein Kaufhausdieb!“, erkläre ich ihm. "Ich bin auf der Suche nach Rezensenten."
Menschen, die ein Kaufhaus mit Artikeln bereichern sind im
Denken eines Kaufhausdetektives nicht vorgesehen. Er belässt es bei einer
Verwarnung, Hausverbot erhalte ich dennoch.
Ich weiß nicht, wie und wo ich meine Kaufhauserlebnisse
einordnen soll. Trotz Hausverbot fühle ich mich jedenfalls nicht schlecht.
Immerhin habe ich Staub aufgewirbelt. So was ist immer gut für die
Aufmerksamkeit.
Ein klein bisschen von der Magie eines Spitzentitels durfte
ich kosten.